Medien: Der 'Fall Reichelt' - Scoop? Informantenverbrennung? Boulevard-Trash?

'Sex sells'. Immer schon. Ob beim Boulevardblatt BILD oder jetzt auch beim SPIEGEL. Die eilig zusammengeschriebene Titelgeschichte "Sex, Lügen, Machtmißbrauch' - Die Springer Affäre" ist eine Story, die dünn ist, keinen wirklichen investigativen Kern hat. Eine ausführliche Betrachtung wäre sie eigentlich nicht wert. Würden darin nicht wichtige Grundlagen des Journalismus mißachtet werden. Eine davon ist der Schutz der Informanten, der Hinweisgeber.
So ist im SPIEGEL-Text ist von einer 'Constanze Müller' die Rede. Sie soll ein Verhältnis mit dem Ex-Chefredakteur gehabt haben. Die weiteren Hinweise zu dieser Person im SPIEGEL-Text sind allerdings so konkret, dass von eine Anonymität - vom Schutz dieser Person - keine Rede mehr sein kann.
Interessant ist - in diesem Zusammenhang auch - eine ergänzende Notiz von Markus Knall. Dem Chefredakteur 'Ippen Digital'. 'In eigener Sache - keine Veröffentlichung zu Reichelt'. Bekanntlich war eine Veröffentlichung seiner journalistischen Investigativeinheit in der vergangenen Woche am Veto des Verlegers Dirk Ippen gescheitert.
Besonders deutlich kritisierte diesen Schritt - neben anderen - der Vorstand der Journalistenvereinigung 'netzwerk recherche'. 'netzwerk recherche'? Ein Verein, der selbst einmal in einen veritablen internen Finanz-Skandal verwickelt war. Näheres lässt sich nachlesen in einer Publikation zum 20jährigen Bestehen des Vereines (Seite 62 - 63).
Im Wortlaut: "Als der Lauterkeit von nr schwerer Schaden drohte"
nr hatte aber für die Jahrestagungen 2007 bis 2010 gar keinen Fehlbedarf, wie eine vom Verein in Auftrag gegebene Buchprüfung ergab. Das stand im August 2011 fest. Die vom Vorstand schon im Mai festgestellten »manipulierten Abrechnungen« hatten sich somit leider bestätigt. Über die genannten vier Jahre hinweg waren die Eintrittsentgelte von Besuchern der Jahrestagungen in Hamburg in der Größenordnung von mehreren Zehntausend Euro zu niedrig dargestellt worden. Weitere Zuschüsse von Stiftungen, einem Verlag und einer Bank waren nicht ordentlich und ihrer Zweckbestimmung entsprechend verbucht worden. Der Schlamassel wurde offenbar zu einer Zeit, als sich nr gerade auf die Gründung einer Stiftung vorbereiten wollte. So aber wurde wertvolle Kraft fürs Großreinemachen absorbiert. (...)"
Quelle: https://netzwerkrecherche.org/wp-content/uploads/2021/09/20_Jahre_Netzwerk_Recherche_Magazin.pdf (Seite 62 -63)
VoD-Tipp: Wege zur Macht (Polit-Doku, 76 min, ARD, 2021)
Am letzten Sonntag war Bundestagswahl. Zur Auswahl standen drei Kanzlerkandidaten. Ein 'lustiger' Faschingsprinz aus Aachen. Eine, die es mit der persöhnlichen Wahrheit nicht so eng sieht. Und einer, dem in Untersuchungsausschüssen Inhalte von Treffen mit Bankern nicht mehr 'erinnerlich' sind. Diese drei hat das Filmteam um Stefan Lamby in den letzten zehn Monaten begleitet. Der Filmemacher stellt bohrende Fragen, hakt penetrant nach. So wie guter Journalismus sein muss. Bis sich einige der sonst so unnahbar Wirkenden selbst demaskieren. Kurzweilige 76 Minuten. Sehenswert.